Anwälte/innen in den BGH: Der neue Koalitionsvertrag macht es möglich

"Wir reformieren die Wahl und die Beförderungsentscheidungen für Richter an den obersten Bundesgerichten unter den Kriterien Qualitätssicherung, Transparenz und Vielfalt“ heißt es in dem gerade verabschiedeten Koalitionsvertrag auf S. 106 unter der Rubrik „Justiz“.

Der Passus klingt nicht schlecht, ist allerdings in viele Richtungen interpretierbar. Ein weithin unbestelltes Feld offenbart sich in dieser Hinsicht etwa dann, wenn man sich die Besetzung der Strafsenate des BGH einmal näher ansieht: Die insgesamt sechs Strafsenate des BGH sind nach der aktuellen Geschäftsverteilung mit 47 Richtern und Richterinnen besetzt. Soweit bekannt, weist keine der dort vertretenen Berufsbiographien eine langjährige Anwaltstätigkeit oder gar eine solche als Strafverteidiger/in aus. Das war in der Vergangenheit nicht anders.

Andreas Wattenberg

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht

Die Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung von Anwälten und Anwältinnen bei der Besetzung von Bundesgerichten ist mit Blick auf das Bundesverfassungsgericht bereits 2016 von der BRAK und DAV nachdrücklich eingefordert worden (vgl. dazu die gemeinsame Presseerklärung vom 02.11.2016). Diese Initiative hat möglicherweise dazu geführt, dass 2018 mit Prof. Dr. Harbarth – nach 13 jähriger Abstinenz – immerhin ein Richter mit langjähriger Anwaltstätigkeit in den Ersten Senat eingerückt ist. Im Vergleich zu den Strafsenaten des BGH ein durchaus veritabler Prozentsatz an anwaltlicher „Repräsentanz!“. Weshalb ist das eigentlich so?

An den rechtlichen Rahmenbedingungen kann es eigentlich nicht liegen. Bereits nach bisherigen Recht kann der für die Ernennung als Richter auf Lebenszeit erforderliche richterliche Dienst durch eine anwaltliche Tätigkeit ersetzt werden (§ 10 Abs. 2 Nr. 4 DRiG).  Soweit eine Anrechnung der anwaltlichen Tätigkeit derzeit in der Regel auf zwei Jahre begrenzt ist (§ 10 Abs. 2 Satz 2 DRiG), gab es schon diffizilere rechtliche Probleme, die de lege ferrenda kurzfristig gelöst wurden.

Geeignete hinreichend qualifizierte Kolleginnen und Kollegen, die das für eine Tätigkeit am BGH notwendige fünfunddreißigste Lebensjahr (§ 125 GVG) vollendet haben, dürften ebenfalls zu finden sein.  Es ist vor diesem Hintergrund justizpolitisch eigentlich nicht verständlich, dass die Strafsenate des BGH über Jahrzehnte hinweg ausschließlich mit Juristen und Juristinnen aus der Justiz besetzt worden sind.

Um nicht missverstanden zu werden: (Ehemalige) Rechtsanwälte/innen garantieren per se sicher keine qualitativ bessere Rechtsfindung. Es kann die höchstrichterliche Rechtsprechung aber nur bereichern, wenn an ihr auch solche Richter/innen mitwirken, die über einen anwaltlich geprägten Berufshorizont verfügen.  Dass die Rechtsprechung auch durch die  Sozialisation der an ihr unmittelbar mitwirkenden Protagonisten beeinflusst wird, ist eine Binsenweisheit. Für die berufliche Sozialisation gilt dies erst Recht.

Es macht dabei durchaus einen erheblichen Unterschied, ob Anwälte „ihre zweifellos große Fachkompetenz“ bereits im Rahmen der Vertretung ihrer Mandanten einbringen (so Marc Chmielewski in einer kritischen Stellungnahme zu der oben angesprochenen Initiative von BRAK und DAV in JUVE Rechtsmarkt 12/16) oder ob deren Erfahrungsschatz innerhalb des Spruchkörpers fruchtbar gemacht wird.

Es wäre erfreulich, wenn die Ampelkoalition auch in dieser Hinsicht für eine größere personelle  „Vielfalt“ und Durchlässigkeit an den obersten Bundesgerichten sorgt. Eine erneute Initiative von BRAK und DAV könnte diesen Prozess durchaus beschleunigen.

 

 

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